Schön, ein Mensch zu sein - Gedanken zu Weihnachten
Vor Jahren schon hab´ ich einmal eine Weihnachtskarte bekommen mit dem Aufdruck: „Mach´s wie Gott – werde Mensch!“
Manchmal suchen wir ja im Alltag nach der Lösung eines Problems. Dann sagt uns jemand: „Mach es doch mal so!“ Wir winken vielleicht ab und sagen: „Nein, das hat keinen Zweck. Das geht so nicht“ Oder wir sagen: „Ja, das mach´ ich mal so. Darauf bin ich noch gar nicht gekommen.“
„Mach´s wie Gott – werde Mensch“ Hilft uns so ein Satz? Auf den ersten Blich eher nicht. Menschen müssen wir nicht mehr werden. Das sind wir ja: seit zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig Jahren, mit allen Menschlichkeiten, die wir so an uns haben. Wir fangen nicht noch einmal von vorn an, wir sind – was wir wurden.
„Mach´s wie Gott – werde Mensch.“ Das soll dann wohl heißen: Werde so Mensch, wie Gott es wurde. Der Satz lädt uns ein, mit der Menschwerdung Gottes auch die eigene Menschwerdung zu feiern.
Wie Gott Mensch wird? Man darf sich einmal vorstellen, Gott hätte die Menschen um Vorschläge gebeten, wie er am besten in die Welt kommen solle. Da wären Vorschläge zu Tausenden eingegangen: rührende und haarsträubende. Ob auch jemand auf die Idee gekommen wäre, Gott vorzuschlagen: so zu kommen, wie er gekommen ist? Vielleicht hätte sich das keiner getraut. Gott wählte den menschlichsten Weg, den Weg, den jeder von uns gekommen ist: von einer Mutter geboren. In den ersten Augenblicken unseres Lebens sind wir uns alle gleich, da hat keiner einem etwas voraus. Völlig erschöpft von der Strapaze der Geburt, wissen wir noch nichts von Reichtum, Leistung und Macht. Wir sind am Leben, alle gleich hilflos und auf andere angewiesen. Wir brauchen nichts als trockene Windeln, die Brust der Mutter oder die Flasche. So und nicht anders sind wir alle gekommen. Und genau so ist Gott gekommen.
„Ein Kind in Windeln, das soll euch zum Zeichen sein!“ Das Zeichen heißt: Die Lösung kommt nicht von oben und heißt Macht. Sie kommt von unten und heißt Ohnmacht. Gott kommt nicht, indem er sich auf das hohe Ross der Welt setzt, auf den Chefsessel der Entscheidungen, an die Schaltstelle der Macht; sondern indem seine Mutter ihn in eine Futterkrippe legt und die Welt es gar nicht merkt.
Radikaler kann Gott sich gar nicht ausliefern. Der so Mensch wird, ist also nicht der unerreichbare Jenseitsgott, der sich raushält aus Angst und Schweiß und Tränen. Nicht ein teilnahmsloser Gott, der sich die Ohren zuhält vor dem Weinen und Geschrei der Welt und der die Augen zumacht vor soviel Egoismus, Dummheit und Bosheit. Er kommt und teilt unser Leben.
Wenn das stimmt, dann bedeutet das für unsere eigene Menschwerdung: die Richtung geht auch für uns nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten; nicht auf das hohe Roß hinauf – sondern vom hohen Ross herunter. Inwieweit bin ich bereit, herunterzusteigen zum Beispiel von dem, was ich mein gutes Recht nenne? Von meinem Stolz oder meinen Eitelkeiten,? Meiner Empfindlichkeit oder Bequemlichkeit. Jeder ist gegen Gewalt und meint schnell die anderen. Dabei übersehen wir die eigene Gewaltbereitschaft, wenn uns was nicht passt.
Das andere, was uns hier helfen kann, ist, das wir vor Gott sind wie das Kind im Stall von Bethlehem. Jeder von ist uns ein von Gott geliebtes Kind. Wenn dies stimmt, muss ich nicht schwitzen vor Selbstbehauptung, muss ich nicht fertig sein, sondern darf ich werden. Dann liegt meine Stärke nicht in dem, was ich leiste, sondern im Vertrauen. Wenn ich ein Kind bin, muss ich keine Angst haben, Fehler zu machen und Schwächen zu haben – weil meine Geborgenheit tiefer wurzelt als in meiner Perfektion.
„Mach es wie Gott – werde Mensch.“ Er will uns Mut machen, dass wir es wieder spüren, wie schön das ist, ein Mensch zu sein.
Stadtpfarrer Norbert Winner, Neumarkt-St. Johannes
Weitere Texte von Norbert Winner auf dieser Dekanatshomepage:
"Mehr Glauben und mehr Leben" - Gedanken zu Pfingsten (23.5.2021)
"Liebst du mich?" - Ein Tagesimpuls (25.5.2020)
"Bei ihm niederlassen" - Ein Tagesimpuls (24.4.2020)
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