Naivität und Selbstzerstörung verlangt? Gedanken zum Jahrestag des Kriegsausbruchs

Ein Jahr ist es nun her, dass russische Truppen auf Befehl von Präsident Wladimir Putin die Ukraine überfallen haben. Mit Worten ist der Schrecken kaum zu beschreiben, unter dem das ukrainische Volk seitdem zu leiden hat. Die Nachrichten und Bilder von diesem völkerrechtswidrigen Krieg verstören und beunruhigen uns Tag für Tag. Viele von uns haben Angst, dass der Krieg auch auf unser Land überspringen könnte. Vor allem Menschen mit geringerem Einkommen leiden unter hohen Energiekosten und haben Angst davor, dass dieser Zustand noch lange andauern könnte. In Politik, Medien und Öffentlichkeit wird diskutiert, welche Hilfe wir Deutsche den Menschen aus und in der Ukraine wir leisten können.

Befremdlich wirken da die Worte, die wir Jesus im Evangelium des letzten Sonntags haben sagen hören: „Leistet dem, der euch etwas Böses tut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin!“ Dürfen wir Christen also die Lieferung von Waffen überhaupt befürworten? Können wir dem ukrainischen Volk das Recht auf militärischen Widerstand zugestehen? Darf man sich mit Waffengewalt verteidigen, wo sich doch Jesus ganz deutlich dazu äußerte? Müssen wir Christen naiv alles erdulden und selbstzerstörerisch alles über uns ergehen lassen? Sollen wir Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht abwehren?

Mich beunruhigt aber, was Jesus uns auch noch sagt: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!“ Mir wird dabei deutlich: Auch im Krieg kann es nicht einfach um pure Rache gehen. Das alttestamentliche „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist für Konfliktlösung nur wenig hilfreich. Die Spirale der Gewalt können wir nicht bis ins Unendliche weiterdrehen. Hass, Krieg und Gewalt dürfen uns nicht zum Lebensinhalt werden, wir wollen ja auch nach Konflikten und Auseinandersetzungen wieder zusammenleben. „Wir dürfen uns an den Ukraine-Krieg nicht gewöhnen“, betont daher der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. Selbst im Krieg muss der Friede schon vorbereitet werden. Als Christen sollten wir alle Chancen zu Dialog und Versöhnung nutzen, auch wenn der Angreifer zu Unrecht vorgegangen ist.

„Das ukrainische Volk hat das Recht, sich gehen die brutale und ungerechtfertigte militärische Aggression zu verteidigen“, betonte die europäische Bischofskonferenz. Wer die Entfaltung des einzelnen in Freiheit und Selbstbestimmung will, muss auch die Souveränität der Staaten und die Unabhängigkeit von Völkern anerkennen. Jesus ermuntert uns nicht dazu, der blanker Gewalt und teuflischer Aggression die Welt zu überlassen. Aber er macht uns Mut, uns nicht von Rache und Vergeltung treiben zu lassen, sondern der Liebe und Achtung, dem Frieden und der Freiheit zum Durchbruch zu helfen. Das Leben lässt uns dabei manchmal ganz schöne Umwege gehen.

Dekanatsreferent Christian Schrödl, Neumarkt/Habsberg